Was ist Aufmerksamkeit? Wir wollen zuerst versuchen, eine Erklärung zu geben und danach eine praktische Anwendung darzustellen.
Wir orientieren uns an der Theorie der Entwicklung funktioneller Systeme, wonach jedem geistigen Prozess eine Handlung zugrunde liegt. Eine äußere Handlung, die von den Erfahrungen mit den Händen, mit den Sinnen ausgeht, dann auf das Niveau der Sprache gehoben und somit verallgemeinert wird und zum Schluss erst auf die gedankliche, rein geistige Ebene im Gehirn verkürzt wird und automatisch, ohne die äußere bewusste Handlung mit den Händen und ohne bewusste sprachliche Begleitung abläuft.
Welche äußere Handlung liegt nun der Aufmerksamkeit zugrunde? Gemäß der Theorie von Galperin ist die Aufmerksamkeit eine automatisierte Kontrollhandlung, die eine handelnde Kontrolle als Grundlage hat. Wenn ich z.B. aus dem Haus gehe, frage ich mich: "Ist das Licht überall aus? Sind die Herdplatten aus? Ist das Bügeleisen aus? Habe ich den Schlüssel in der Tasche? Habe ich die Blumen gegossen usw.?" Diese Fragen beantworte ich schnell in meinem Kopf, wenn ich diese Handlungen oft genug selbst durchgeführt habe. Früher musste ich immer noch mal nachschauen. Ich bin in die Küche gelaufen und habe nach dem Herd geschaut, dann in die Tasche, dann, ob die Fenster zu sind, und dann habe ich bei aller Kontrolle doch das Wichtigste vergessen, den Schlüssel oder den Tauchsieder usw. Das war die erste Stufe der Kontrolle. Dann kommt die zweite Stufe der Kontrolle: Ich muss nicht mehr von Zimmer zu Zimmer rennen, sondern ich bleibe vor der Tür stehen und spreche laut vor mich hin: "Alle Herdplatten sind aus, die Fenster sind geschlossen, angerufen hatte ich, nein, sonst war nichts mehr." Dann gehe ich aus dem Haus. Die dritte Stufe ist, dass die Kontrolle nicht mehr über die Handlungen selbst nötig ist und auch nicht mehr über die laute Sprache, sondern im Kopf automatisch schnell abläuft, weil wir im Kopf ein funktionelles System aufgebaut haben, das für die Aufmerksamkeit zuständig ist.
Die Aufmerksamkeit ist also nicht die Kontrollhandlung selbst, sondern ist das funktionelle System im Kopf, das es ermöglicht, die Kontrolle einer Tätigkeit ohne äußere Handlung, ohne Sprache allein im Kopf auszuüben.